Der VfL kam mit gewaltigem Selbstvertrauen, hatte in der Vorwoche in Fürstenfeldbruck gewonnen und besaß nun die Chance, den HCOB in der Tabelle um sechs Punkte zu distanzieren. Entsprechend hoch war, sozusagen im Umkehrschluss, der Druck aufs Gästeteam, das sich nach vorne orientieren möchte, im Falle einer Niederlage aber massiv im Mittelfeld festgeklemmt wäre. Die Sportler in den grün-weißen Trikots bewältigten diese Stresssituation gut, münzten den Druck in Energie um.
Die Akteure von Trainer Matthias Heineke traten im Hexenkessel Kurt-App-Halle mit erkennbarer Entschlossenheit an und nahmen das Zepter in die Hand. Sie stellten eine gute Abwehr, ließen die starke Rückraumachse der Hausherren nicht zur Entfaltung kommen. Die ganze Abwehr arbeitete hervorragend zusammen. Lukas Rauh und Tim Düren verrichteten im Innenblock Schwerstarbeit. Torwart Jürgen Müller war souveräner Rückhalt und entschärfte viele Würfe aus der Nahwurfzone.
Der HCOB kam zu Ballgewinnen, die er durch schnell vorgetragene Konter zu Toren nutzte. Diese hatten die Wirkung von Nadelstichen – und in der ersten Halbzeit mussten sich die Pfullinger bei ihrem Keeper Simon Tölke bedanken, dass sie nicht schneller deutlicher ins Hintertreffen gerieten. Er wehrte einige freie Würfe und zwei Siebenmeter ab. Der HCOB setzte sich nach dem vorläufig letzten Gleichstand von 2:2 mit einem 5:1-Lauf allerdings trotzdem auf 7:3 ab.
Diesen Vorsprung verteidigten die Murrtaler in den folgenden Minuten, wobei sich der früher für Pfullingen spielende Daniel Schliedermann mit guten Angriffsaktionen hervortat. Die Flügelzange mit Florian Frank und Philipp Maurer bekam gute Wurfgelegenheiten und nutzte sie. Der VfL lebte von Siebenmetertreffern von Lukas Fischer. Dennoch hieß es nach 23 Minuten bereits 17:10 für die Gäste, die meisten der 700 Zuschauer in der Kurt-App-Halle waren – so sie nicht zu den Gästen hielten – ernüchtert. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass die Pfullinger in den letzten Minuten vor der Pause noch auf 14:19 herankamen.
Es sah gut aus für die Gäste, aber: auch die Rhein-Neckar Löwen II hatten vor zwei Wochen zur Pause mit fünf Toren Vorsprung in die Kurt-App-Halle geführt und noch verloren. Insofern war Vorsicht angebracht. Und das bewahrheitete sich zu Beginn der zweiten Halbzeit. Der HCOB vergab zwei Torgelegenheiten, legte zwei der seltenen technischen Fehler drauf. Pfullingen nutzte es für seine beste Phase im Spiel, warf fünf Tore in Serie und stellte in der 36. Minute den 19:19-Ausgleich her.
In den lautstarken Jubel der Zuschauer mischte sich aber umgehend ein Ächzen. Weil die Pfullinger für den Ausgleichstreffer ihren Keeper ausgewechselte hatten, um einen fehlenden Feldspieler auszugleichen, Lukas Rauh nur drei Sekunden nach dem Gleichstand das neuerliche Führungstor durch einen Anwurf aus dem Mittelkreis ins verwaiste Tor. Das war psychologisch enorm wichtig. Dass Torwart Jürgen Müller in den Minuten danach fast unüberwindbar hielt, kam hinzu.
Diese starke Reaktion brachte dem HCOB eine 23:19-Führung nach 40 Minuten. Diesen Vorsprung verwalteten die Gäste clever. Sie liefen Gegenstöße, wenn sie eine Chance auftat, aber sie verfielen nicht in Hektik, wenn sie in den Positionsangriff mussten und nahmen eher ein Zeitspiel denn einen hektischen Ballverlust in Kauf. So konnten sie hinten gut ausrichten. Pfullingen kam noch einmal auf zwei Tore heran, das 23. Tor der Heimmannschaft war nach 48 Minuten aber schon deren vorletztes.
Auf der Gegenseite sorgte Daniel Schliedermann mit zwei weiteren Treffern für Luft. Eine doppelte Unterzahl wirkte sich wenig negativ aufs Spielgeschehen aus, die vier verbliebenen HCOB-Akteure ließen in dieser Phase nur ein Gegentor zu. Nach dem 29:24 durch Tobias Gehrke war die Partie entschieden. Torwart Jürgen Müller wehrte zum dritten Mal einen Strafwurf von VfL-Torjäger Lukas Fischer ab. Der im Sommer aus Pfullingen gekommene Kreisläufer Alexander Schmid setzte den Schlusspunkt, 30:24. Der HC Oppenweiler/Backnang bejubelte einen ganz wichtigen Sieg.
Stimmen zum Spiel
HCOB-Trainer Matthias Heineke: „Der Schlüssel zu diesem Erfolg lag in der Abwehrarbeit. Wir waren im Innenblock über 60 Minuten sehr präsent und haben viele Zweikämpfe gewonnen. Zudem hatten wir eine hervorragende Torwartleistung von Jürgen Müller, besonders ab der 40. Minute. Wir haben viele Nadelstiche durch Tore aus der ersten Welle gesetzt. Im Positionsangriff hat jeder Spieler geliefert und klare Akzente gesetzt, wenn er aufs Spielfeld kam. Wir haben erkennbar aus dem Spiel gegen die SG Leutershausen gelernt. Ein Sieg in Pfullingen ist immer wichtig. Ich hoffe, dass er uns einen Push für die nächsten Wochen geben wird.“
VfL-Trainer Daniel Brack: „Es war die erwartet intensive Begegnung. Jürgen Müller hat überragend gehalten und sein Tor zugenagelt. Wir hatten beim 19:19 die Chance, haben aber das Tor aus dem schnellen Anspiel bekommen und waren gleich wieder drei hinten – und dann ist das Momentum nicht zu unseren Gunsten gekippt.“
Rund ums Spiel
Der HCOB musste in Pfullingen deutlich dezimiert spielen. Neben den Langzeitverletzten Jakub Strýc und Luis Villgrattner fehlten auch Marc Godon und Torwart Stefan Koppmeier. Für ihn rückte Stefan Merzbacher, eigentlich Torwarttrainer, in den Kader. Er kam bei einem Siebenmeter zum Einsatz. Den wehrte er zwar nicht ab, aber er baute seinen Vorsprung in der ewigen Einsatzstatistik aus. Merzbacher absolvierte in Pfullingen sein 378. Spiel im Trikot der ersten Mannschaft.
Rückraumspieler Tim Dahlhaus war wieder im Spielberichtsformular eingetragen, lief sich auch warm, seine Rückkehr aufs Spielfeld steht aber wohl erst in zwei Wochen an. Dann trifft der HCOB nach einem spielfreien Wochenende in Oppenweiler auf HBW Balingen-Weilstetten II. Dahlhaus wurde in Pfullingen einmal mehr durch Felix Raff vertreten.
Die Kurt-App-Halle in Pfullingen ist für den HCOB zwischenzeitlich ein gutes Pflaster. Von den vergangenen acht Begegnungen am Ufer der Echaz – das Match vom Samstag mitgerechnet – ging gerade mal eine verloren. Es war ausgerechnet jene, als der VfL wegen Corona auf die frenetische Unterstützung seiner Heimzuseher verzichten musste.