Der Hintergrund dieser Entwicklung: Der 18-jährige Sportler hat außer der deutschen die amerikanische Staatsbürgerschaft, weil „meine Eltern zum Arbeiten in die USA gezogen sind und ich dort geboren wurde.“ Allerdings ging es, als der kleine Moritz ein halbes Jahr alt war, zurück nach Deutschland, die Familie ist seither in Marbach am Neckar zuhause. Der Torhüter, der sich im Bezirk auch als Schiedsrichter engagiert, spielte für die HSG Marbach/Rielingshausen und wechselte im vergangenen Jahr zum HC Oppenweiler/Backnang. Dort war er bis vor einer Woche doppelt im Einsatz: für die A-Jugend war er in der Württembergliga aktiv, zudem steht er bei den Aktiven im Landesligateam zwischen den Pfosten, gemeinsam mit Adrian Zügel.
Der Gedanke an ein Mitwirken im Nationalteam entsprang einer humorvollen Bemerkung: „Meine Eltern haben gesagt, dass die Chancen für eine Teilnahme an den Olympischen Spielen am besten stehen, wenn ich für Amerika auflaufe.“ 2028 sind die US-Boys als Ausrichter der Spiele in Los Angeles automatisch qualifiziert. Zuletzt hatten sie sich 1996 im Zeichen der Ringe präsentierten dürfen, auch seinerzeit aufgrund des Heimvorteils in Atlanta. Ansonsten waren die Amerikaner meist Zuschauer. Zuletzt schaffte die A-Nationalmannschaft durch einen Sieg gegen Grönland immerhin die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2023, erreichten dort nach Siegen gegen Marokko und Belgien den 20. Platz unter 32 teilnehmenden Teams. Vielleicht ist es der Vorbote eines Aufschwungs. Für die nächsten globalen Titelkämpfe (2025 in Kroatien, Dänemark und Norwegen, 2027 in Deutschland) können die Amerikaner fix Tickets buchen: der Weltverband hat ihnen angesichts der bevorstehenden Olympischen Spiele zur Vorbereitung eine Wildcard zugesprochen.
Moritz Bochum jedenfalls griff den Impuls seiner Eltern auf, schaute sich ein paar Spiele des amerikanischen Juniorenteams bei der U21-Weltmeisterschaft an und gewann die Erkenntnis: „Da könnte ich vom Niveau her auch mitspielen.“ Als er in Instagram auf einen Aufruf stieß, dass es einen Lehrgang für Sportler der Jahrgänge 2004 bis 2008 geben würde, nahm er Kontakt zum US-Verband auf. „Ich sollte ein Video mit Highlights einschicken“, berichtet Moritz Bochum. „Zwei Wochen später kam die Rückmeldung und die Einladung.“ Der Keeper freute sich, dann packte er seinen Koffer.
Bei einem Lehrgang im französischen Montpellier trafen sich Sportler aus unterschiedlichsten Ländern, die zwei Gemeinsamkeiten hatten: die amerikanische Staatsbürgerschaft und Talent für Handball. „Es ging darum, den Leistungsstand der einzelne Spieler zu ermitteln und ein Team zu bilden“, sagt Moritz Bochum, der die Zeit genoss: „Es war ein Traum, mal eine Woche unter solch professionellen Bedingungen Handball spielen zu können.“ Die Sportler durften die Räumlichkeiten und Einrichtungen des französischen Rekordmeisters Montpellier HB nutzen.
Nun möchte Moritz Bochum weitere Erlebnisse dieser Art sammeln. Natürlich: die olympischen Spiele sind noch weit weg. Das IHF-Trophy-Turnier in Mexiko – ein Format für handballerische Entwicklungsländer – am Ende des Jahres ist für Moritz Bochum aber durchaus einen Blick wert. „Ich weiß zwar noch nicht, ob ich im Kader stehe, aber ich hoffe es natürlich – und ich denke, meine Chancen stehen gut.“
Und am Rande notiert
Berührungspunkte mit dem amerikanischen Handball hatten auch andere HCOB-Handballer: Felix Raff spielte im vergangenen Herbst für San Francisco CalHeat beim IHF Super Globe, auch Florian und Philipp Schöbinger waren schon für diesen Club im Einsatz. HCOB-Jugendtrainer Tobias Mühlpointner spielte während seines Studiums für die Cheam Chargers und Chessington VC.
Craig Tigges, langjähriger Keeper der zweiten Mannschaft des TV Oppenweiler und mittlerweile unter anderem eloquenter Moderator bei den Fernsehübertragungen der HCOB-Heimspiele, wirkte einst in einem Handball-Nationalteam mit olympischer Perspektive mit. Er absolvierte Länderspiele für Großbritannien, das 2012 anlässlich der Spiele in London als Starter gesetzt war und ein Team aufbaute. Als im Vorfeld des Turniers viele Sportler weltweit ihren Stammbaum auf britische Vorfahren durchsuchten, fanden sich jedoch Profitorhüter aus Skandinavien, die letztlich für die Olympischen Spiele nominiert wurden.